Abenteuer Swiss Alpine oder Wie ein Schweizer Uhrwerk

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Ein Gastbericht von Gerlind

Was zieht einen Fischkopf zum Swiss Alpine nach Davos?
Schon wenige Wochen, nachdem ich mich Anfang Januar für dieses Event angemeldet hatte, wusste ich die Antwort auf diese Frage nicht mehr.

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Blick auf Davos


Letzten Sommer hatte ich gehört, wie Jörg Beyer mir kurz vor der Rostocker Marathonnacht von dem K78 in Davos erzählte. Allerdings war die Schilderung eher gruselig als anheimelnd, denn er war ca. 10,5 Stunden in strömendem Regen gelaufen. Auch Familie Kiesendahl hatte begeistert von der einzigartigen Atmosphäre in den Schweizer Bergen erzählt . Seitdem ging mir der Swiss Alpine nicht mehr aus dem Kopf. Da ich in der dunklen Jahreszeit immer anfange, meine Pläne für das kommende Jahr zu schmieden., liebäugelte ich mit einer Anmeldung bei dem 30. Swiss Alpine am 25. Juli 2015.

Als ich meine langwierige Oberschenkelverletzung als auskuriert betrachtete, machte ich schon Anfang Januar meine Teilnahme perfekt, auch weil Jörg durch meine Anmeldung einen Rucksack gewinnen konnte. Natürlich meldete ich mich für den längsten der angebotenen Läufe, den K78, an, denn sonst lohnt sich ja die weite Anreise nicht … Mit Unterstützung von Jörg und Klaus buchte ich meine Zugtickets, Klaus besorgte die Unterkunft.

Leider machten sich die Beschwerden im Oberschenkel Ende Februar erneut bemerkbar. Physiotherapie half dagegen nicht, nur weniger laufen. Diese Strategie passte allerdings nicht zu der nötigen Vorbereitung für einen Extremberglauf. Am 9. Mai lief ich zum 3. Mal den langen Kanten am Rennsteig, was mir überhaupt keinen Spaß machte. Aber ein Zurück vom Swiss Alpine gab es für mich nicht, denn bisher bin ich bei allen Läufen gestartet, für die ich mich angemeldet hatte.

Außerdem hatte ich schon viel Geld in das Projekt „Edelweiß“ investiert.
Die Generalprobe für Davos waren die 30 km in Krakow, die recht zufriedenstellend verliefen. Dennoch wollte ich es in den kommenden Wochen auf keinen Fall übertreiben. Andererseits war mir natürlich klar, dass ich viel zu wenig lange Läufe im Training absolviert hatte. Je näher der Termin rückte, desto nervöser wurde ich deshalb. Was hatte ich mir da bloß vorgenommen! Ich muss verrückt gewesen sein.
Zum Glück las ich erst ein paar Tage nach meinem Ausflug in die Schweiz, was Klaus Duwe auf seinem Internet-Forum Marathon4you schreibt:
„Ich möchte allerdings jeden Marathoni daran erinnern, dass er sich bis zu seinem ersten Marathon „hochgearbeitet“ und nicht mit einem 42er begonnen, hat. Jetzt muss man das beim Trailrunning genauso machen und nicht mit einem Ultratrail anfangen.“

Do., 23.7.15:
Gestern Abend ist mir klar geworden, dass ich nur 76,1 km statt 78 km laufen muss. Hurra!
Ich traf Christiane und Jörg Beyer sowie Klaus um kurz nach 8 am Hauptbahnhof Rostock. Da Christiane gerade vom Jakobsweg zurückgekehrt war, hatten wir eine Menge Gesprächsstoff. In Hamburg stiegen wir in den Zug nach Zürich. In meinem Abteil saßen zwei Krümelmonster … Als Klaus mir zeigte, dass die Deutsche Bahn ihm eine Mitteilung auf sein Handy geschickt hatte, dass der Halt Zürich ausfallen würde, wollte ich das nicht glauben. Aber tatsächlich: Wegen der Verspätung von 24 Minuten nahm die Schweizer Bahn den Zug nicht mehr an. Wir stiegen in Basel in den nächsten Zug nach Landquart, wo wir direkt Anschluss nach Davos hatten. Von der Rhätischen Bahn aus bestaunten wir die Schweizer Bergwelt. Gegen 21:30 Uhr kamen wir endlich im „Youth Palace“ an und bezogen unser 4-Bett-Zimmer. Da wir uns auf Selbstverpflegung geeinigt hatten, bestand das Abendessen aus Keksen und Nudelsalat.

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Monstein

Fr., 24.7.15:
Der Veranstalter des Swiss Alpine empfiehlt zwar eine Akklimatisierung von 5 Tagen, aber wir hatten nur diesen einen Tag dafür zur Verfügung. Davos liegt auf einer Höhe von 1.500 m und das merkte ich schon ganz früh am Morgen, als ich mit Migräne erwachte. Nach einem Kaffee und einem guten Frühstück verschwanden meine Kopfschmerzen aber zum Glück.
Um 10:00 Uhr machten wir uns auf den Weg zur Abholung unserer Startunterlagen. Klaus war bis 2004 schon 8mal beim Swiss Alpine gestartet und zeigte uns den Weg. Als Jubiläumsgeschenk zum 30. gab es für jeden ein Handtuch. Klaus und Jörg konnten sich kaum von dem Film losreißen, der auf der Event-Messe in Endlosschleife lief: Impressionen vom langen Kanten. Ich wollte das lieber nicht sehen … Klaus wollte Jörg und mich auf bestimmte Zielzeiten festnageln, aber darauf ließen wir uns nicht ein. Ich sagte meinen Begleitern, dass sie erst kurz vor 20 Uhr mit mir rechnen sollen.
Beim Sightseeing wurde schnell klar: Die Schweiz ist ein teures Pflaster. Das war sie zwar schon immer, aber seit die Regierung im Februar 2015 die Bindung an den Euro aufgehoben hat, ist ein Euro nur noch 1 Schweizer Franken wert. Man kann zwar in Euro bezahlen, aber nur mit Scheinen. Und das Wechselgeld bekommt man auf jeden Fall in Schweizer Franken. Das billigste Gericht, das ich auf der Speisekarte einer Gaststätte sah, waren Spaghetti Napoli für 16,90 CHF.
Es war ein heißer Tag und ich wanderte zum Davoser See, schwamm dort ein paar Minuten, aber plötzlich donnerte es. Ein Gewitter zog auf, es begann zu regnen. Die Temperatur fiel erheblich ab. Hoffentlich würden wir morgen besseres Laufwetter haben!
Nach den technischen Vorbereitungen (Chip in das Schuhband flechten, Sachen bereitlegen usw.) versuchte ich, mir eine Strategie für diese Herausforderung zurechtzulegen. Aber eigentlich war die seit langem klar und hatte sich am Rennsteig bewährt: Laufen, solange ich laufen kann, und gehen, wo es zu steil wird. Das Zeitlimit beträgt 13 Stunden, was einem Durchschnitt von 6 km/h entspricht. Allerdings wusste ich, dass ich die Berge nur mit 3 km/h hochkommen würde. Dann musste ich eben mit 9 km/h abwärts. Soweit die Theorie. Ich schrieb mir die Schließzeiten der einzelnen Kontrollpunkte auf einen Zettel, den ich in meine Laufjacke steckte.

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die Schatzalp in Davos


Sa., 25.7.15
Um 5:30 Uhr essen wir Frühstück. Neben Brot, Butter, Marmelade, Kaffee und Müsli gönne ich mir sogar ein Tiramisu, obwohl ich ahne, dass das in meinem Magen rumoren wird.
Um 6:00 Uhr mache ich mich auf den Weg zum Start. Zwar muss ich sagen, dass der Swiss Alpine insgesamt hervorragend organisiert ist, aber auch hier gibt es das leidige Problem mit den Toiletten vor dem Start. Als ich endlich an der Reihe bin, bleibt noch 1 Minute bis zum Startschuss um 7:00 Uhr.
Zunächst drehen wir eine Runde von ca. 3 km rund um Davos. Christiane und Klaus stehen am Straßenrand und feuern uns an. Auf den ersten 30 km geht es mal bergauf, dann wieder bergab, ähnlich wie beim Rennsteiglauf. Bergauf ist es an manchen Stellen schon so steil, dass man gehen muss. Fast alle, die mich bergauf überholen, kann ich bergab wieder einfangen. Wir laufen durch ein paar Tunnel und schon vor Monstein wird mir richtig warm und ich binde mir meine Jacke um den Bauch. Da ich mein Rennsteiglaufshirt an habe, werde ich nun ab und zu darauf angesprochen. Eine Frau sagt zu mir „So eines hole ich mir nächstes Jahr auch.“ Ich darauf: „Ne, das sieht ja jedes Jahr anders aus.“
In den Orten, die wir durchlaufen, stehen viele Zuschauer an der Strecke. Für das Anfeuern werden alle erdenklichen und vor allem laute Hilfsmittel benutzt. In Spina hat jemand eine Konstruktion gebaut, mit er mehrere riesige Kuhglocken gleichzeitig läuten kann, sodass das laute Gebimmel schon von weitem zu hören ist.

In dem Ort Wiesen laufen wir über das berühmte Viadukt, von dem uns Klaus schon erzählt hat. Ich sprinte ein bisschen, um mich für das Foto in eine gute Position zu bringen. Schon seit dem Start laufen zwei Däninnen und 1 Däne mal vor mir, mal hinter mir. Ausgerechnet auf der Brücke wollen sie sich fotografieren. Man hört und sieht im Feld viele schwedische und dänische Läufer.
Auf einmal überholen mich einige Läufer und da wird mir klar, dass sie ihre letzten Kräfte für den Zielsprint mobilisieren. Nach ca. 3:20 Std. erreiche ich Filisur, wo die 30 km-Starter ihren Lauf beenden. Kurz vor dem Ziel stürzt vor mir eine Frau auf einem abschüssigen Pfad. Zum Glück hat sie sich nur am Arm verletzt und läuft weiter auf der K78-Strecke.
Auf einmal wird es richtig leer auf der Strecke. Der Lauf macht mir zu diesem Zeitpunkt immer noch Spaß – ich kann es kaum glauben. Ab und zu denke ich an meinen Oberschenkel, spüre aber keine Schmerzen. Ich suche eine Möglichkeit, meine Jacke loszuwerden, Kurz hinter Filisur gebe ich sie einem Streckenposten und bitte ihn, sie zu meinen anderen Sachen zu legen. Das klappt gut.

Eine Läuferin sagt mir, dass ich die Jacke oben noch brauchen würde. Aber ich antworte, dass ich lieber frieren als schwitzen würde … Sie meint auch, dass wir nun bis Bergün 900 Höhenmeter laufen müssen, aber das will ich gar nicht wissen. Die Strecke durch das Albulatal ist sehr schön, bietet aber kaum Schatten und mir wird richtig heiß. Dann geht’s plötzlich in Serpentinen steil nach oben durch einen Wald. Hier muss ich gehen, wie die anderen Läufer auch, allerdings bin ich dabei langsamer als die anderen … Da fragt ein Läufer seinen Freund, wie es ihm geht. Der antwortet im Schweizer Dialekt: „Wenn’s schon fertig wäre, wär’s auch nicht schlecht.“

Plötzlich höre ich von fern Lautsprecherdurchsagen. Das muss Bergün sein! Hier wird es zum 1. Mal richtig hart, ich habe Durst. Die Getränke- und Energieversorgung an der Strecke ist bisher hervorragend. Besonders die Enervit-Lutschtabletten haben mir geholfen. Da sitzt plötzlich ein Mann an der Strecke und ich frage ihn, ob er Wasser hat. „Nein“, sagt er, „das gibt es erst in 2 km“. Da sehe ich tief unten im Tal Bergün. Oh Gott: So tief hinunter auf nur 2 km! Natürlich wieder in Serpentinen, aber selten so steil, dass ich nicht laufen kann. Einige Japaner oder Koreaner kann ich überholen, u.a. einen alten Mann mit Stock, den ich noch öfter sehen werde, bei km 63 stürzt er leider. Übrigens gehen/laufen manche Teilnehmer sogar mit zwei Stöcken. Viele haben ihren eigenen Rucksack (vor allem zum Trinken) dabei.

In Bergün empfängt uns eine tolle Stimmung. Viele Menschen stehen am Straßenrand, hier werde ich zum 1. Mal mit meinem Namen angesprochen (der steht auf der Startnummer). Der Sprecher ruft über seinen Lautsprecher jeden Läufer einzeln aus und wünscht viel Glück auf dem Weg zur Keschhütte. Ich fühle mich gar nicht so, als ob ich fast einen Marathon in den Beinen habe. Als ich über die Zeitnahmematte laufe, bleibt bis zum Zeitlimit für diesen Ort noch ungefähr eine halbe Stunde. Ich kann also ganz beruhigt weiterlaufen.
Auf dem folgenden Abschnitt in Richtung Chants geht es sanft, aber stetig bergan. Viele Läufer gehen hier und ich denke mir, dass die sich wohl ihre Kräfte gut einteilen wollen. Tatsächlich fällt das Laufen hier schon nicht leicht. Nun fällt mir ein, dass ich den Zettel mit den Richtzeiten der Stationen in meiner Jacke und somit nicht mehr bei mir habe. Ein vorbeieilender Läufer checkt gerade seinen Zeitplan. Da nutze ich die Gelegenheit, ihn nach der Richtzeit für die Keschhütte zu fragen. Chants erreiche ich ca. 25 Minuten vor dem Zeitlimit. Ich bin noch guter Dinge und optimistisch, denn die Sonne scheint.

Doch gleich hinter Chants beginnt der wirklich steile zweistündige Aufstieg zur Keschhütte. Gefühlt komme ich nur noch mit 2 km/h voran (tatsächlich sind es hier, wie später in meiner Ergebnis-Statistik ersichtlich wird – 3,6 km/h). Ich muss ab und zu stehen bleiben und werde sieben Mal gefragt, ob alles ok. ist, ob ich etwas brauche oder ähnliches. Einmal trinke ich aus einer Flasche einen Schluck Isodrink. Drei weitere Läufer sprechen mich auf den Rennsteig an. Jedenfalls werde ich ununterbrochen überholt, was mich an sich nicht stört, aber ich spüre, wie mir die Zeit davonrennt. Hier ahne ich noch nicht, wie streng die Schweizer ihre Zeitlimits nehmen. Was für erstaunliche Gedanken einem beim Bergaufwandern durch den Kopf gehen! In mir hämmert komischerweise immer das Wort „Flachlandtiroler“.
Endlich kommt die Keschhütte in Sicht, aber wir müssen noch durch ein Tal und wieder hinauf. Als ich die Keschhütte um 15:30 Uhr endlich erreiche, ist sie in Wolken gehüllt. Endlich eine Toilette! Nach 5 Minuten verlasse ich diesen zweithöchsten Punkt der Strecke (2.632 m) und habe leider keine Zeit, das angebotene Risotto zu probieren, denn ich liege nur noch 10 Minuten vor dem Zeitlimit.

Dann erwartet uns ein anspruchsvoller Trail durch eine Hochebene. Ich weiß, dass noch über 100 Höhenmeter bis zum höchsten Punkt zu erklimmen sind. Auf diesem abwechslungsreichen Stück hüpfe ich von Stein zu Stein zwischen den Bachläufen hin und her. Mal geht es ein bisschen hinauf, dann wieder hinunter, an malerischen Seen vorbei. Aber es ist hier merklich kühler und vor allem windiger. Eine Jacke wäre nicht schlecht hier oben… Ich will auf keinen Fall nasse Schuhe bekommen, denn das gibt Blasen.

Ist das hier der berühmte Panoramatrail? Wahrscheinlich sehe ich nicht, wie steil es an den Seiten ist, weil der Himmel inzwischen komplett zugezogen ist. Direkt auf dem Sertigpass, dem höchsten Punkt der Strecke (2736 m) sitzt ein Fotograf. „Ich bin ein Held“, rufe ich ihm entgegen. „Ich auch“, ruft hinter mir eine Frau. Erst später fällt mir ein, dass der Mann neben dem Fotografen der Arzt gewesen sein muss, der angeblich jedem Läufer tief in die Augen schaut, um zu prüfen, ob er noch fit genug für den Rest der Strecke ist. Wahrscheinlich habe ich ihn durch mein Lächeln davon überzeugt, dass er mich weiterziehen lassen kann. Nach meiner Uhr komme ich am Sertigpass um 17:03 Uhr, also 3 Minuten zu spät an. Aber ich mache mir keine Sorgen, aus dem Rennen genommen zu werden, denn hier oben müssten sie die Leute ja mit Hubschraubern abholen. Außerdem weiß ich aus dem Streckenprofil, dass es von hier aus auf den letzten 18 km nur noch bergab geht. Und das müsste doch in 3 Stunden zu schaffen sein, denke ich. Aber wie so oft liegen auch hier Welten zwischen Theorie und Praxis…

Als ich hinter dem Pass absteige, sehe ich auf einmal gar nichts mehr, keinen Läufer und auch kaum den Weg. Nur Nebel umfängt mich. Ich versuche, im Geröll, den serpentinenartigen Weg zu erahnen. Auch die Fähnchen des Sponsors Migros, die bisher zuverlässig den Weg markierten, fehlen hier oben. Wenn es so steil bergab geht wie hier, gehe ich vorsichtig und nicht schnell. Deshalb werde ich auch hier wieder überholt. Aber als das Terrain weniger steil wird, kann ich wieder normal laufen. Jetzt fühlt es sich ein bisschen an wie der Abstieg vom Inselsberg. Ich beginne zu frieren – hier sind höchstens 10°C und es ist sehr feucht. Im Nebel entdecke ich etwas Oranges: eine Sanitäterin hockt da. Ich frage sie, ob sie evtl. eine Jacke für mich hat. Leider braucht sie ihre selbst – logisch.

Im Chüealptal ist der technisch anspruchsvolle Abstieg beendet und wir auf 2.204 m abgestiegen. Hier beginnt eine Fahrstraße und die Veranstalter haben einen Getränkepunkt aufgebaut, an dem ich um 17:45 Uhr ankomme. Die Helferin am Getränkepunkt mahnt zur Eile, weil die Station in Sertig Dörfli um 18:10 Uhr schließen wird. „Das schaffen Sie noch“, ermuntert sie mich. 4 km sind es bis dahin. Also muss ich ca. 9 km/h laufen, müsste bergab wohl zu schaffen sein, auch mit 61 km in den Beinen. Mir kommen 2 Streckenwagen entgegen. Ich lächle die Männer auf den Wagen freundlich an, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, ich würde aufsteigen wollen.
Als ich Sertig Dörfli erreiche, ruft der Sprecher aus: „Noch eine Minute bis wir schließen.“ Wir haben den letzten Kontrollpunkt gerade noch rechtzeitig erreicht. Eine Japanerin, die gerade neben mir läuft, freut sich mit mir und reicht mir die Hand. Da höre ich, wie der Sprecher ausruft: „Noch 3-4 Minuten bis diese Station schließt“. Später sehe ich in der Ergebnisliste, dass hier 19 Minuten nach der vorgegebenen Zeit der letzte Läufer durchgelassen wurde.
Ein Mann fragt mich, ob wir das Ziel vor 20:00 Uhr erreichen können. Ich sage ihm, dass ich hier auch zum 1. Mal laufe und das wohl davon abhängt, wie viele Anstiege noch kommen. Eine ältere Dame will uns entmutigen „Da kommen noch so einige.“ Ich bin überrascht über dieses Auf und Ab, denn auf dem Profil sah es so aus, als ob es auf den letzten 18 km nur bergab geht…
Am nächsten Tag erfahre ich, dass etliche Läufer hier aus dem Rennen genommen wurden und mit Bus und Bahn und Umsteigen selbst nach Davos zurückfahren mussten. Ich bin froh, dass mir das erspart blieb.

Die letzten 11 km sind anstrengend, es regnet ca. eine halbe Stunde, der Schweiß rinnt mir in die Augen und ich sehe nichts mehr. Man sieht Davos schon 7 km vor dem Ziel. Umso härter trifft mich das 5 km-Schild, das kann doch wohl nicht mehr sooo weit sein! Ich treffe drei Frauen mit Frankfurt-T-Shirts, die ich aufgrund ihrer geschlossenen Mannschaftsleistung bewundere. Leider muss ich 3 km vor dem Ziel in den Busch. Ein Bauer sorgt auf den letzten Kilometern noch für Erheiterung. Er hat ein Transparent an seine Scheune gehängt: „Save water, drink milk.“ Allerdings hat er bei strömenden Regen seinen Rasensprenger angestellt …

Als wir endlich in den Straßen von Davos angekommen sind, sagt ein Läufer neben mir: „Wie am Rennsteig, wo es zum Schluss nochmal richtig bergauf geht.“ Ich kann ihm nicht mehr antworten, dafür reicht meine Puste nicht mehr.
Im Ziel erwarten mich Christiane, Jörg und Klaus. Sie haben schon stundenlang auf mich gewartet, weil sie mir meine Ankündigung nicht gelaubt haben. Aber ich habe mit meiner Finisherzeit von 12 Stunden, 40 Minuten und 23 Sekunden mein Ziel erreicht, unter 13 Stunden anzukommen. Dass es unterwegs so knapp werden würde, hatte ich vorher natürlich nicht geahnt. Ich bekomme meine Medaille und mein Finisher-Shirt und ich muss mich nicht mal ins Gras werfen. Die Dusche habe ich ganz für mich allein. Auch auf meinem Nachhauseweg begegne ich kaum einem Menschen, denn es ist kühl und fast dunkel.

Fazit:
Insgesamt bin ich während des Lauf ca. 5 Stunden gelaufen (davon 3 zu Beginn und 2 zum Schluss) und 7:40 Stunden gegangen. In dieser Zeit bin ich 2560 Meter hoch und genauso viele Meter wieder hinunter gelaufen oder gegangen.
Die Rückfahrt am Sonntag verlief fast reibungslos. Im Frankfurt stieg ein Amerikaner aus Oregon in den Zug, der gerade auf seiner Rückreise aus Santiago de Compostela war. 6 Wochen war er auf dem Jakobsweg unterwegs gewesen. Wir fachsimpelten ein bisschen, sodass die Reise fast wie im Fluge verging.
Eine Teilnahme am Swiss Alpine ist ein Ereignis, das sicherlich bleibende Spuren bei jedem Läufer hinterlässt. Wer die Berge liebt, sollte sich dieses Ereignis nicht entgehen lassen. Es muss ja nicht gleich der ganz lange Kanten sein.

2 Kommentare zu “Abenteuer Swiss Alpine oder Wie ein Schweizer Uhrwerk

  1. Hallo Gerlind,
    wieder ein sehr toll geschriebener Erlebnisbericht, da fühlt man so richtig die Anstrengung mit. Super das du es gemeistert hast. Jetzt ist erst einmal Entspannung angesagt.
    Aber diese Eindrücke werden dir wohl immer im Kopf und den Beinen bleiben. Einfach nur super

  2. Klasse geschrieben, Gerlind! Ich hätte dir auf der Keschhütte mehr Zeit und besseres Wetter gewünscht, um die Wahnsinnsaussicht von dort genießen zu können. Nur wenige Momente vorher schien dort noch die Sonne. Aber wie schnell in den Bergen das Wetter umschlagen kann, haben wir ja am Vortag erlebt.
    Aber du hast allen Widrigkeiten getrotzt und kannst mit Recht stolz auf dich sein!

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